Freitagmorgen: Sie steigt irgendwo in Moorrege in den Bus – eine Frau mit Kopftuch. Sie nimmt mir gegenüber Platz. Türkin! So viel scheint wegen des Kopftuchs und des übrigen Aussehens klar.
Was mich irritiert und fesselt, ist ihr Blick. Sie blickt nicht nach unten oder verschämt zur Seite wie andere ‚Kopftuchträgerinnen‘ im morgendlichen Bus.
Überhaupt entspricht sie keinem Klischee, das ich über muslimische Frauen in mir trage. Ich schätze sie auf Mitte 40. Nicht schön nach unseren Maßstäben: groß, mager, eher knochig. Ansätze zu einer Hakennase. Ihre Kleidung schlicht, aber nicht ärmlich.
Sie ist nicht geschminkt, lediglich die Augenbrauen sind gezupft. Ihre Haut ist klar, so klar wie ihre Augen. Sie besitzt eine natürliche Autorität.
Was mich irritiert, was mich fesselt ist ihr Blick. Sie hat große helle, goldbraune Augen, ein leuchtendes Braun, darinnen ein Strahlen.
Sie schaut mich nicht an – aber nicht aus Verlegenheit. Ihr Blick schweift über das Draußen. Erfüllt von einer großen Neugier, aber auch von diesem inneren Strahlen. Was sie berührt mit ihren Augen, fängt an für einen Moment zu leuchten. Sie erfreut sich an dem, was sie sieht.
Sie ist nicht gebeugt, nicht enttäuscht vom Leben hier im Westen. Sie freut sich jeden Tag. Ein klein wenig scheu – aber mehr die Art natürliche Scheu – grüßt sie eine junge Türkin, mit der sie wenig später aussteigen wird. Vielleicht eine Kollegin.
In Bildern, die sich in meiner Phantasie formen, sehe ich sie als Stammesfürstin irgendwo im vorderasiatischen Hochland.
Auch als sie schon ausgestiegen ist, hält mich ihre Erscheinung noch lange in ihrem Bann. Ich bin glücklich, dass es solche Menschen noch gibt. Ich bin dankbar, dass ich ihr an diesem Morgen begegnet bin.