Boris Meyn, Sturmzeichen, rororo 2019, 252 Seiten
»Sturmzeichen« ist der neunte Band (auf der Umschlagrückseite heißt es, es sei der achte!) der Krimireihe um die alteingesessene Hamburger Kaufmannsfamilie Bischop, die in den Boris-Meyn-Büchern immer wieder in Kriminalfälle verwickelt wird. Für mich ist es der erste Band aus der Reihe, den ich lese, und vermutlich wird es auch der letzte sein.
Dieser Band spielt im Jahr 1929. Der braune Mob wird immer frecher. Gefolgsleute Hitlers sind schon auf dem Weg zu den ersten wichtigen Schaltstellen der Macht in Hamburg. Allerdings, wer aufgrund des Titels vermutet, dass die Braunen eine zentrale Rolle spielen, wird enttäuscht. Zwar tauchen sie im Verlauf des Geschehens immer wieder auf, entscheidend für den Plot sind sie aber nicht.
Protagonistin dieses Bandes ist Ilka Bischop, einzige Tochter der Familie. Ihr jüngerer Bruder Robert – so muss sie schmerzvoll erfahren – hat sich den Nationalsozialisten angedient. Ihr älterer Bruder David, ein Adoptivsohn der Familie, aber steht verlässlich an Ilkas Seite.
Auch sonst hat »Frollein Bischop« so ziemlich alle Vorteile auf ihrer Seite. Sie ist neugierig, klug, attraktiv, emanzipiert und steinreich. Als Hobby-Detektivin führt sie stets ein paar Dietriche und ein Schießeisen in der Handtasche mit sich – neben den üblichen Damenutensilien. Sie arbeitet in Berlin für die Vossische Zeitung, sie ist bekannt mit Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky. Außerdem – man möge mir den Kalauer an dieser Stelle verzeihen – ist sie ein wenig schwanger.
Allerdings ist Ilka sich nicht sicher, wer denn nun der leibliche Vater ist. Stammt die Frucht ihres Leibes aus der On-Off-Beziehung mit dem wohlhabenden Schweden Ture, dem One-Night-Stand mit einem attraktiven russischen Tänzer, oder ist ihr aktueller Geliebter Laurens, Kriminalkommissar bei der Hamburger Polizei, vielleicht der Vater des Kindes? Für den Kampf anderer Frauen um Gleichberechtigung hat sie nur ein müdes Lächeln. Eine fast vollzogene Vergewaltigung streift sie ab wie eine lästige Fliege.
Der Kriminalfall
Zunächst sieht es so aus, als hätten wir es mit einem Mordfall zu tun. Ein jüdischer Bankier, zufällig Mieter in einer der noblen Villen der Protagonistin, treibt tot in der Alster. Bei der Suche nach der Todesursache findet man ein Parteiabzeichen in der Faust des Toten. Ein antisemitisch motiviertet Mord also?
Aber der gute Bankier hat es wohl geschäftlich übertrieben. Es stellt sich heraus, dass er ihm anvertraute Gelder in Millionenhöhe veruntreut hat, um einen großen Deal mit ›Südfrüchten‹ zu finanzieren. Um was es bei diesem Südfrüchte-Deal wirklich geht, das versuchen nun Laurens, der Kriminalkommissar, und Ilka Bischop als Hobbydetektivin herauszufinden.
Stets ist Ilka ihrem geliebten Laurens um einen Schritt voraus. Unterstützung erhält sie dabei von unerwarteter Seite. Auch und gerade als es um den Schluss-Showdown geht, rettet ihr einer der Hamburger Oberspitzbuben das Leben.
Um es kurz zu machen: In ‚Sturmzeichen‘ ist die Kriminalgeschichte äußerst dünn geraten. Dem Autor passieren bei der Entwicklung des Plots zwei, drei gravierende Fehler, die einem aufmerksamen Lektor hätten auffallen können. Da hilft die zierliche Ilka ein paar Ganoven – sie ist diesen gerade auf der Spur – beim Ausladen des ›Stoffes‹ aus einer Schaluppe. Die Pakete wiegen jedes einen Zentner, sodass immer zwei anpacken müssen. Und keiner merkt, dass Ilka eine Frau ist!
Und als sie nach einer solch grandiosen Entdeckung nach Hause kommt, schläft ihr Laurens schon, sodass sie ihm die entscheidenden Hinweise zur Aufklärung nicht geben kann. Und als sie am nächsten Morgen aufwacht, ist er schon mit seiner ganzen Truppe im Hafen, um den (wie wir mittlerweise dank Ilka wissen) »sauberen« Dampfer hochzunehmen – umsonst also. Und dieser ganze unnötige Aufwand, weil die ansonsten so toughe Ilka nicht in der Lage ist, ihren Criminalkommissar aufzuwecken.
Was das Buch trotzdem lesenswert macht, ist die liebevolle und mit viel Detailwissen angereicherte Kultur- und Baugeschichte Hamburgs. Hier schlägt das Herz des Autors, hier kennt er sich aus, hier hat er gewissenhaft recherchiert. In einem zehn Seiten langen Epilog liefert er dazu ein ausführliches Who-is-who des damaligen Hamburgs, zählt auf, welche Einrichtungen, Treffpunkte, Lokale es wirklich gab und welche er dazu erfunden hat. Ungewöhnlich für einen Krimiband ist auch der Bildteil in der Buchmitte. Zu sehen sind nicht nur einige der in Nebenrollen agierenden Personen, sondern auch in Luftaufnahmen einige der seinerzeit ausgeführten Großbauten mit Arbeiterwohnungen.